Der Einsatz von digitalen Lösungen entlang des gesamten Baulebenszyklus steigert die Effizienz, reduziert die Kosten und erhöht die Nachhaltigkeit. Leider werden die Beteiligten in vielen Ländern dennoch ausgebremst: Durch wenig oder kaum digitalisierte Bauantragsprozesse. Ein Blick nach Deutschland und über den Tellerrand hinaus.
Autor:
Tim Westphal
Fachjournalist aus Berlin, Germany
Veröffentlicht:
November 11, 2022
Building Information Modeling (BIM) und ein durchgängig digitaler Bauprozess beschleunigen die Fertigstellung eines Bauwerks enorm, bedeuten Kosten- und Terminsicherheit. Das stimmt ohne Frage. Aber wie realistisch ist ein tatsächlich „durchgängig digitaler Bauprozess“ überhaupt? Während es für Planung, Bau und Verwaltung eines Gebäudes inzwischen zahlreiche digitale Lösungen und Ansätze gibt, hakt es leider bei der Genehmigungsplanung, die ihren krönenden Abschluss in der Baugenehmigung findet. Die Einreichung selbst ist nach wie vor wenig digital: Unmengen von Aktenordnern und Dokumenten werden von den Architekturbüros werktäglich in die Bauämter getragen. Dort registriert man ihren Eingang, gibt ihnen Aktenzeichen und verteilt sie auf die verschiedenen Abteilungen, die die Regeln der Technik ebenso wie das geltende Baurecht prüfen, die Statik nachrechnen und die Energienachweise überprüfen. In Deutschland und Österreich geschieht das noch immer weitestgehend analog. Mit den weltweit meisten Normen und Verordnungen im Bauen – allein in Deutschland sind es rund 3.700 – gestaltet sich die Digitalisierung des Bauantragsverfahrens schwieriger als andernorts. Doch Veränderung ist in Sicht: Im gesamten deutschsprachigen Raum gibt es inzwischen Pilot- und Forschungsprojekte.
Ein erstaunter Blick ins Ausland
In Skandinavien, wo BIM schon in den 2000er Jahren Einzug hielt, sind Baugenehmigungsverfahren längst BIM-basiert. Finnland und Norwegen werden gern als Vorzeigeländer genannt. Hier ist die Genehmigung innerhalb weniger Wochen bis Monate erteilt. Pauschalisieren lässt sich die Bearbeitungsdauer auch dort nicht, denn die Bearbeitungsdauer ist immer abhängig von der Komplexität des Bauwerks. Dennoch: Auf Basis einer digitalen Plattform ein offenes IFC-Modell hochzuladen und alle wichtigen Nachweise und Dokumente mitzuschicken, diese digital über eine Software auf ihre Plausibilität prüfen zu lassen und elektronische Rückfragen zügig stellen zu können, bedeutet einen enormen Nutzen für alle Beteiligten und minimiert den Personalaufwand erheblich. In Singapur beispielsweise hat sich die Bearbeitungszeit für ein Bauprojekt auf ca. drei Wochen verkürzt – dank digitaler Prüfroutinen und Vorgaben, die bei der Modellierung und späteren Einreichung zu beachten sind. Seit 2002 kann man dort Bauanträge digital einreichen. Sicherlich ist Singapur ein kleiner Stadtstaat, verfolgt aber enorm große Bauprojekte – für die gerade einmal acht Angestellte verantwortlich sind. So war der Status im Herbst 2022.
Föderalismus ist wichtig. Aber gleichzeitig ein Bremsschuh
Sowohl für Deutschland wie für Österreich gilt: Baugenehmigungen bzw. Baubewilligung (AT) sind Angelegenheiten der Bundesländer. Die Landesbauordnungen sind jedoch alle und in jedem Bundesland verschieden: 16 in Deutschland, neun in Österreich. Dennoch sind sie in wesentlichen Punkten vergleichbar oder sogar identisch. An dieser Stelle wird deutlich, warum die wichtige Harmonisierung und Vereinheitlichung für einen BIM-basierten Bauantrag in Hamburg wie München oder Graz und Wien fast unmöglich ist: Wenn eine Prüfsoftware verschiedene Parameter und Anforderungen qualitativ prüfen soll, geht das nur mit einer passenden Programmierung, die alle spezifischen Prüfparameter enthält und die immer wieder um Anpassungen ergänzt wird.
Das ist eine große Herausforderung, die zum Glück von einigen Anbietern in einem ersten Schritt pragmatisch wie effizient (zumindest für Deutschland) gelöst wurde: Ein Bauprojekt lässt sich umfänglich beispielsweise in Solibri auf Basis der Musterbauverordnung prüfen. Die individuellen Anpassungen der jeweiligen Bundesländer sind danach analog, also händisch, nachzuarbeiten. Das ist noch nicht optimal, aber ein großer Schritt auf dem Weg zu einem BIM-basierten Bauantrag. Denn eine Vielzahl an Regeln und Abhängigkeiten können über das IFC-basierte „Bauantragsmodell“ geprüft werden. Die Zeitersparnis bei einer breiten Nutzung in allen Bauämtern wäre enorm und die Qualität der Planungen würde immens steigen.
BIM-basierter Bauantrag in Dortmund
Aktuell steht alles Vorgenannte noch im Konjunktiv. Doch gibt es außergewöhnliche Projekte, die aufhorchen lassen. So ist in Dortmund auf Initiative der Louis Opländer GmbH
als Bauherr und des Architekturbüros DA Drahtler Architekten
als planendes Architekturbüro, ein wichtiges Pilotprojekt realisiert: Der Firmenneubau für den Gebäudetechnikspezialisten wurde BIM-basiert eingereicht und genehmigt. Die Stadt Dortmund, die Ruhruniversität Bochum mit dem Lehrstuhl von Prof. Markus König
und das Land NRW
unterstützten das Projekt. Das planende Architekturbüro DA Drahtler Architekten konnte erstmals nachweisen, dass ihr BIM-basierter Bauantrag, dessen Prüfung und eine digitale Baugenehmigung keineswegs eine Utopie sind. Das Pilotprojekt ist inzwischen vielfach publiziert. Eine breit ausgerollte und automatisierte Prüfung sowie Auswertung modellbasierter Informationen aus den IFC-Modellen der Architekten, die medienbruchfreie Durcharbeitung der Anträge und eine beschleunigte Prüfprozessabwicklung sind nun wichtige Ziele für die Zukunft. Die Dortmunder Ergebnisse sind hierfür in weiteren Projekten zu verifizieren und die Prozesse in den Bauämtern anzupassen. Hinzu kommt deren Ausrüstung mit neuer Technik: Ein BIM-Modell muss man im Bauamt sowohl anschauen, als auch technisch prüfen können und ebenso die modellbasierte Kommunikation über die zentralen Austauschformate IFC und BCF beherrschen. Die Mitarbeiter*innen in den Ämtern sind daher zu schulen, auszubilden und an das Thema BIM und Bauantrag heranzuführen.
Digitale Einreichung im Projekt BRISE in Wien
Ein ähnliches Ziel verfolgt das BRISE Projekt in Wien. Verschiedene Architekturbüros haben hier ihre Projekte im Frühsommer 2022 ebenfalls BIM-basiert eingereicht. Momentan befinden sie sich in der Prüfung bei den zuständigen Behörden in der österreichischen Hauptstadt. In dem EU-geförderten Projekt BRISE (Building Regulations Information for Submission Envolvement) werden BIM-Methode, Künstliche Intelligenz (KI) und Augmented Reality (AR) zu einem digitalen Genehmigungsverfahren kombiniert. Die Projektpartner sind unter anderem die TU Wien, die Stadt Wien und die Kammer der Ziviltechniker*innen, Architekt*innen und Ingenieur*innen. Auch bei BRISE ist das Ziel die Entbürokratisierung des Bauprüfungsverfahrens. Genehmigungsprozesse sollen zukünftig schneller und effizienter werden. Geplanter Projektabschluss ist im August 2023.
Weitermachen! Aber schnell und mit den nötigen Standards
und BIM-basierten Bauantrag kein Weg vorbei. Der digitale Bauantrag auf Basis einer PDF-Einreichung erleichtert den Prozess bereits heute spürbar. Anwendung findet er in verschiedenen Bundesländern, Städten und Gemeinden in Deutschland wie Österreich. Aber auch hier gilt: Die Prüfung erfolgt noch immer analog sowie händisch und nicht auf der Grundlage einer automatisierten Routine in einem Prüfprogramm. Somit gilt es „am Ball zu bleiben“ und die notwendigen Standards und Normen zu entwickeln, die ein BIM-basiertes Bauantragsverfahren ermöglichen. Damit verbunden sind weitere Regelwerke – die unsere Normenflut nochmals ergänzen. Doch anders als die ein oder andere Baunorm der letzten Jahre (die das Bauen zusätzlich verkompliziert hat), erleichtern sie mit großer Sicherheit die Baugenehmigungsplanung und -einreichung.